Double Days – Fluch oder Segen?
Versetze dich mal in folgende Situation:
Der Wecker klingelt in den frühen Morgenstunden, die Laufschuhe liegen bereit – es ist Zeit für deine Runde, damit du vor der Arbeit schon „den ersten Sieg des Tages“ einfangen kannst. Doch was wäre, wenn dieser Morgenlauf nicht der einzige ist und du am frühen Abend eine zweite Einheit machen möchtest? Zweimal am Tag laufen gehen? Ja, du hast richtig gelesen. Ich (Tim) beschäftige mich seit ein paar Wochen mit dieser Thematik des „doppelten Laufens“ und habe inzwischen ein paar Gedanken dazu aufgeschrieben, die lediglich meine persönliche Meinung widerspiegelt. Und damit ich nicht völlig daneben liege, habe ich auf Instagram nachgefragt, was meine Freunde und Bekannten zu dieser Trainingsform sagen. Hast du schon mal einen ,,Double Day“ in die Trainingswoche integriert oder lässt du lieber die Finger davon? Lass es mich wissen, mich interessiert es wirklich, was du davon hältst.
Alles schön und gut, aber was sind Double Days eigentlich? Starten wir mit einer kurzen Definition:
Double Days/Doppeltage sind Trainingstage, an denen Läufer/innen zweimal laufen gehen, normalerweise mit mehreren Stunden Abstand, zum Beispiel morgens gegen 07:30 Uhr und noch einmal am frühen Abend um 18:00 Uhr. Für viele Läufer sind solche ,,Double Days“ eine Möglichkeit, ihre Leistung zu steigern, ihr Training zu erweitern und zu intensivieren. Dabei kann man in Sachen Grundlage oder Tempo beide Gesichtspunkte gleichermaßen trainieren, je nach Trainingsphase.
Doch wie bei vielen Trainingsmethoden im Laufsport gibt es Vor- und Nachteile, die man gerade bei diesem Aspekt gründlich überdenken muss. Und ich merke besonders bei diesem Thema, dass ich vorsichtig sein sollte, was ich hier von mir gebe, denn: Die ,,Double Days“ borgen immer die Gefahr, dass man seinem Körper zu viel Training in zu kurzen Abständen zumutet. Man sollte sich ganz langsam und mit Bedacht an diese Trainingsform wagen.
Sind Doppeltage der Schlüssel zur maximalen Leistung oder ein möglicher Weg in Richtung Übertraining? Was spricht für und was gegen eine zweite Einheit am Tag?
Pro
- Leistungssteigerung: Doppeltage können die Laufleistung und die Ausdauer verbessern, da sie nüchtern betrachtet mehr Trainingsvolumen ermöglichen.
- Zeitmanagement: Sie bieten die Möglichkeit, das Training in den Tagesablauf zu integrieren, insbesondere für Berufstätige (vor und nach der Arbeit)
- Variation: Abwechslungsreiche Trainingspläne können die Motivation steigern und es entstehen neue Reize (beispielsweise morgens 1 x Intervalle/Abends 1 x locker Auslaufen).
- Erholungsphasen werden reduziert: Durch die intensive Belastung lernt der Körper sich schneller zu erholen und ist eher bereit, wieder aktiv zu werden. Dieser Effekt macht sich aber nicht sofort bemerkbar, sondern ist das Ergebnis von lang anhaltendem und konstantem Training.
- Eben schon angerissen, bieten ,,Double Days“ die Möglichkeit, eine intensive Trainingseinheit (zum Beispiel einen langen Lauf über 28 km) in zwei kleinere Blöcke zu spalten. Die Gründe dafür sind verschieden, ich gehe etwas später noch ausführlicher auf den Punkt ein.
- Ein paar Wochen vor dem Wettkampf können ,,Double Days“ die Form nochmal auf die Spitze bringen, man sollte kurz vor dem Wettkampf aber mehr Wert auf Erholung legen und möglicherweise 1-2 Wochen vor dem Wettkampf nicht mehr ,,doppelt“ laufen.
Contra
- Verletzungsgefahr: Doppeltage ohne ausreichende Erholung können das Verletzungsrisiko deutlich erhöhen.
- Zeitintensiv: Doppeltage erfordern zusätzliche Zeit und Planung, was besonders für Berufstätige unpraktisch sein kann. Der Punkt kann allerdings auch als Pluspunkt angesehen werden, wenn man eine zeitintensive Einheit auf zwei kleinere Blöcke teilt.
- Übertraining: Bei unzureichender Regeneration können Doppeltage zu Übertraining führen, was sich negativ auf die Leistung auswirkt.
- Der Aspekt, dass die Erholungsphasen reduziert werden, kann auch als negativer Aspekt aufgegriffen werden, da sich zu kurze Erholungsphasen in mehrfacher Hinsicht negativ auswirken können. Müdigkeit, erschöpfte Muskulatur, gereizte oder gar entzündete Sehnen oder andere Beschwerden können durch zu kurze Erholungsphasen auftreten.
- Die Waschmaschine muss noch häufiger laufen, weil man plötzlich täglich 2 Garnituren Sportwäsche verheizt. Spaß beiseite.
Ich habe mir die Meinung einiger Experten, Trainer und Sportler eingeholt und versuche mal so gut es geht, die Quintessenz herauszuarbeiten.
Übrigens: Bei den lieben Kollegen aus dem Triathlon sind Doppeleinheiten nahezu alltäglich, wie mir Tobi Beibl auch verriet. Morgens eine Stunde Schwimmen, nachmittags nochmal 90 Minuten aufs Rad oder in die Laufschuhe. Beim Triathlon hast du eindeutig den Vorteil, dass die Sportarten gewissermaßen ineinandergreifen und das monotone und (für die Gelenke) recht intensive Laufen durch die Sportarten schwimmen und Radfahren ergänzt werden. Da können sich die Läufer sicher eine Scheibe von abschneiden, es muss bei einem Double Day ja nicht zwingend eine zweite Laufeinheit sein.
Clara, Läuferin bei den adidas Runners München (PB 10 km: 00:36:51 Minuten) sagt, dass man beim ,,Double Days“ ja auch aufs Rad gehen oder ein Krafttraining einschieben kann. Und sollte man doch zweimal laufen gehen, dann ist es am wichtigsten sich vom Umfang langsam hochzuarbeiten, dass der Körper die Belastung langfristig verletzungsfrei packt. Fair point! Was Clara hier meint ist der Punkt, dass der Körper sich an weniger Erholung erst gewöhnen muss, wenn man zweimal am Tag trainiert. Das lernt der Körper tatsächlich, es dauert aber eine Weile und ist je nach Trainingszustand sehr unterschiedlich. Und: Mit einigen zusätzlichen Tricks (gesunde Ernährung, ausreichend guter Schlaf, Krafttraining, Dehnen und Rollen) kann man die Regeneration zusätzlich verbessern.
Matthäus, Lauftrainer mit einer Menge Expertise, ist folgender Meinung: „It depends!“ Es kommt darauf an, was das Ziel sein soll. Wer das noch nie gemacht hat, kann dadurch seine Form in kurzer Zeit ziemlich pushen.“ Völlig richtig, aber die Dosis macht das Gift. Matthäus hat noch einen wertvollen zweiten Tipp parat.
„Wir machen das gerne in Form von Trainingslagern, die zeitlich günstig vor dem Saisonhöhepunkt liegen. Wir schrauben dabei den Umfang hoch, aber nicht die Intensität, da das Ganze ja auch physisch/psychisch verarbeitet werden muss. Fazit: Für einen begrenzten Zeitraum (2-4 Wochen) mal ausprobieren. Geht auch zu Hause. Ein Wettkampf zwei Wochen später führt wahrscheinlich zu Bestzeiten, wenn man die Woche nach dem Block auch gut regeneriert.“ Also: Die Regeneration nicht vergessen!
Matthäus spricht von Double Days, an denen er die Intensität nicht großartig hochschraubt, sondern nur die Umfänge. Verstehe ich. Ich verstehe es auch, wenn man an einem Tag das Modell Intervalle am Morgen und Abends lockere 8-10 km als Auslaufen (Fördern der Blutzirkulation für den Stoffwechsel) ausprobiert. Das gefällt mir sogar gar nicht so schlecht. Weniger kann ich dagegen das norwegische Konzept verstehen, wo man 2 x am Tag im Bereich seiner Schwelle trainiert. Wenn man da nicht vor die Wand läuft, dann weiß ich auch nicht. Ich habe mich bisher noch nicht getraut, diese Form zu trainieren, werde mich als Freiwilliger aber irgendwann mal zur Verfügung stellen. Ich glaube, Bastian Luthmann wäre ein geeigneter Kandidat, der das bei seinem nächsten Deutschlandaufenthalt mal mit mir angehen muss. Nun aber weiter im Text.
Sebastian, ein schneller Kerl mit Wahnsinns Ausdauer, nutzt ,,Double Days“ auch, um sein Training für Ultras entsprechend zu ,,entzerren“. Also viel Umfang an einem Tag zu laufen, aufgeteilt in zwei Einheiten. Macht Sinn bei einer Vorbereitung auf einen Ultra, wo eine normale Trainingseinheit problemlos 2-4 Stunden lang sein kann. Oder noch viel länger. Mit entsprechender Pause lassen sich an einem Tag zwei Blöcke laufen, so dass man nicht eine große Belastung wegstecken muss, sondern zwei ,,kleinere“. Zeitlich gesehen sind ,,Double Days“ natürlich auch sinnvoll, wenn man neben dem Beruf noch sein Privatleben managen muss.
An diesen Punkt knüpft auch Laufcoach Stefan an, der sagt, dass man Leute, die sich auf einen Marathon vorbereiten, auch zweimal am Tag laufen lassen könnte, um den Long Run aufzuteilen. Es gibt eben Läufer, die es aus verschiedenen Gründen (noch) nicht schaffen, 3 Stunden am Stück oder länger zu laufen. Um sich dennoch auf einen Marathon vorzubereiten, ist ein Split des Long Runs gar nicht so verkehrt, um dennoch eine gewisse Länge zu simulieren. Kurzer, in meinen Augen aber nicht zu vernachlässigender Einschub: Die Verbesserung des Fettstoffwechsels, die besonders bei langen langsamen Läufen eintritt, sollte nicht außer Acht gelassen werden. Ich will jetzt gar nicht abschweifen und ein neues Thema aufmachen, aber der Fettstoffwechsel wird erst ab einer gewissen Dauer so richtig „angeschmissen“. Splittet man seinen Longrun in beispielsweise 2 x 12,5 km, so ist der Effekt des langen Laufs (Verbesserung des Fettstoffwechsels) nicht so stark vorhanden wie bei einer durchgehenden Einheit.
Ein weiterer Sebastian, mindestens mal genauso schnell wie der erstgenannte und wie ich Teil der bunert-Family, hatte mir auch noch ein paar wichtige Erkenntnisse mitgeteilt. Er nutzt die ..Double Days“ „um die Belastung und dem Umfang zu erhöhen. Als regenerativer Lauf funktioniert dies super, die Durchblutung wird angeregt und „schlechte“ Stoffe werden schneller abtransportiert. Zeitgleich lernt der Körper auch mit der kürzeren Zeit zwischen den Läufen umzugehen und erholt sich schneller. Ich glaube aber auch, dass dies ein Trainingsmittel für erfahrene/ambitioniertere Läufer/innen sein sollte.“
Besonders auf den letzten Satz möchte ich hier nochmal kurz eingehen, denn da spricht Sebastian etwas Wichtiges an. Als erfahrener Läufer/in solltest du deinen Körper kennen und wissen, was er an Trainingsreizen verkraften kann. Und als erfahrener und ambitionierter Läufer setze ich jetzt einfach mal stumpf voraus, dass man neben dem ,,Kilometergebolze“ auch ausreichend für seinen Bewegungsapparat unternimmt und ihn pflegt, damit die Maschinerie auch langfristig noch so gute Performance liefert.
Okay, ich weiß zugegebenermaßen noch nicht, welche Umfänge mein Körper verkraftet, aber ich taste mich (meistens) mit sehr vorsichtigen Schritten an größere Umfänge und laufe in meiner Wintervorbereitung für die Saison 2024 jetzt nicht direkt jeden Tag doppelt. In Kurzform: Mal eben nachdenken und den Verstand walten lassen, wenn man sein Training intensivieren möchte. Training ist ein langfristiger und sehr langsamer Prozess, da macht es absolut keinen Sinn, wenn man seine Umfänge von 80 auf 160 km innerhalb von ein paar Wochen verdoppelt. Schrittweise die Umfänge erhöhen, meinetwegen 10 – 15 % des wöchentlichen Umfangs erhöhen wäre in meinen Augen eine Herangehensweise, wie man seine Umfänge mit Bedacht erhöht und den Körper an das + an Kilometer gewöhnt. Ich möchte mich aber nicht als Musterschüler darstellen, dass bin ich keineswegs. Nach meiner Erkältung im Oktober hatte ich aufgrund von zu wenig Zeit und des bald anstehenden Jahreshighlights (Luzern Halbmarathon) mein Training sehr schnell wieder aufgenommen. Ist im Nachhinein gut gegangen und ich habe das Risiko in Kauf genommen, dass etwas passieren kann, aber ein Vorbild war ich in der Hinsicht nicht.
Kommen wir zum Wohl wichtigsten Punkt, der auch mir seit jeher schon durch den Kopf schwirrt, wenn ich an ,,Double Days“ denke: Die Verletzungsgefahr nimmt zu. Während meines Aufrufs haben sich viele meiner Bekannten zurückgemeldet mit der Erfahrung, dass zwei Laufeinheiten am Tag eine zu große Belastung für den Körper darstellen und auf kurz oder lang Ermüdungsbrüche entstehen können. Von gut und gerne zehn Läufern habe ich diese Verletzung genannt bekommen. Es ist also große Vorsicht geboten, wenn man diese Trainingsform ausprobiert. Den Körper, also die Gelenke, Knochen und Bänder muss man eben sehr langsam an diese zusätzlichen Belastungen gewöhnen. Fallen dann auch noch die Regenerationsphasen kürzer aus, kommt der Körper nicht rechtzeitig hinterher, die knöchernen Strukturen zu reparieren oder sich zu erholen. Ermüdungsbrüche sind dann die Folge. Das will niemand. Und genau deshalb sollte man vorsichtig sein, richtig vorsichtig.
Also: ,,Double Days“ – Fluch oder Segen? Andi stellt sich die Frage, ob potenzielle Verletzungen aus Umfang und einer eventuell zu hohen Intensität resultieren oder an der verkürzten Regeneration .Ohne das pauschalisieren zu können, würde ich dennoch behaupten, dass es eine Verzweigung aus beiden von Andreas genannten Punkten sein wird. Wie siehst du das?
Ein Freund und erfahrener und sehr erfolgreicher Radsportler, der stundenlange Ausfahrten und hohe Trainingsumfänge durch seine aktive Zeit als Radsportler gewöhnt war, hat es körperlich trotzdem nicht ,,verkraftet“ oder verarbeitet, über einen längeren Zeitraum zweimal am Tag laufen zu gehen. Eine Verletzung war leider das Resultat. Wir haben uns recht intensiv über ,,Double Days“ ausgetauscht und sind zum Schluss gekommen, dass man sich nicht alles von den Profis abschauen kann. Denn Profis haben einen riesengroßen Vorteil gegenüber uns Amateuren: Profis widmen sich zu 100 % dem Sport und bauen ihr Leben danach auf. Massagen, regelmäßige Check-ups beim Sportmediziner und Besuche beim Physio gehören ebenso zur Routine wie die regenerationsfördernden Maßnahmen, die ich in dem Beitrag hier jetzt schon einige Male genannt habe. Als Hobbyläufer und selbst als recht professioneller Läufer sind diese Gegebenheiten nur bedingt vorhanden. Darum sollte man sich nicht alles von der Spitze anschauen, auch wenn sicherlich viele gute Ansätze für das eigene Training dabei sind. Ach so: Auch Profis müssen oft den Tribut zollen, wenn eine zu intensive Trainingsphase in einer Verletzung endet. Hendrik Pfeiffer hat vor einigen Wochen noch in einem Vortrag erzählt, dass ihn eine Verletzung an der Ferse mehrere Jahre hinweg begleitet hat und sogar die Teilnahme bei den Olympischen Spielen ruiniert hat.
Komm mal zu Pötte Junge!
,,It depends!“ Wie so oft gibt es hier kein Richtig oder falsch, oder ein ,,Mach mal oder lass es“. Ich bin der Meinung, dass man sich dem Thema ,,Double Days“ sehr vorsichtig und mit viel Bedacht zuwenden muss, ansonsten fährst du deinen Körper schneller vor die Wand als du denkst. Daher möchte ich auch keine Empfehlung aussprechen, weil mir das Risiko zu groß erscheint, dass etwas passieren könnte. Ein paar Vor- und Nachteile kennen wir jetzt, entscheiden musst du am Ende selbst, ob diese Trainingsform für dich geeignet ist oder ob du nicht lieber an anderen Strukturen dein Training intensivierst oder anpasst. Oftmals ist das wahrscheinlich die vernünftigere Alternative.
Ich bin sehr gespannt, ob ich dir mit dem Artikel ein bisschen weiterhelfen konnte. Sorry, wenn hier der rote Faden nicht ganz gegeben war. Man liest vielleicht zwischen den Zeilen, dass ich immer noch zwiegespalten bin. Über Feedback freue ich mich aber dennoch, weil es dieses Mal wirklich nicht so leicht war, den Artikel hier zu verfassen. Ticker mich dazu einfach über Instagram an (@tist100). Danke fürs Lesen und das Interesse an diesem Thema.